"Wer glaubt, zittert nicht"

 Angelo Kardinal Roncalli/ Papst Johannes XXIII. (1958-1963)

oder:

 

Wer war Ludwig Kirsch?

 

Pfarrer und Bischöflicher Rat Ludwig Kirsch (9.12.1891-22.1.1950) war in der NS-Zeit und zu Beginn der kommunistischen Diktatur ein in Öffentlichkeit und Kirche geachteter Priester unseres Bistums und unterlag der ständigen Beobachtung der jeweiligen Diktaturen. Maßgeblich brachte er sich politisch in der ehemaligen Zentrumspartei ein und wurde später einer der Gründerväter der CDU. In der NS-Zeit war er mehrere Monate im KZ inhaftiert. Stephan  Gottwald, „Projekt Aufarbeitung Zeitgeschichte“, Chemnitz, erinnert an Leben und Wirken des Unbeugsamen.

 

Gerader Weg zum Priester

 

Am 9. Dezember 1891 wird den Eheleuten Hedwig und Alexander Kirsch in der Dresdner Johannesstraße 23 das einzige Kind geboren. In der Pfarrkirche der Familie, der Hofkirche, wird der Sohn auf den Namen Ludwig Anselm Alexander getauft. Vater Kirsch ist Goldschmiedemeister und betreibt vermutlich ein kleines Geschäft. Mutter Hedwig kümmert sich um die Erziehung des Jungen und verdient nebenbei dazu. Nach der Einschulung im Wohnumfeld veranlassen die Eltern auf Grund sich abzeichnender Hochbegabung 1902 den Wechsel an das katholische Progymnasium Dresden.

 

Im Alter von 13 Jahren, 1904, beginnt für Ludwig die „Zeit in der Fremde“, da er in das Wendische Gymnasium Prag eintritt. Dieses Gymnasium auf der Prager Kleinseite ist eine Art sächsisch–katholische Enklave, da eine Priesterausbildung im Land Sachsen auf Grund der geschichtlichen Entwicklung seit der Reformation nicht möglich ist. Das Bistum Meißen existiert zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach einem glänzenden Abitur wird er an der Karolina, der altehrwürdigen Karlsuniversität, immatrikuliert und beginnt 1910 sein Studium der Theologie. In Prag tritt er der Katholischen Deutschen Studentenverbindung KDStV Ferdinandea (im CV) bei, der er zeitlebens treu bleibt und damit letztlich die Brücke zur Gründung der KSG (Katholische Studentengemeinde) schlägt, die die CV-Traditionen weiterführt. Im Jahr 1913 wechselt er zum Abschluss des Theologiestudiums nach Paderborn und wird dort am  3. August 1914  durch Bischof Schulte zum  Priester geweiht. Wenige Tage später hält Kirsch die Primiz in der Dresdner Hofkirche. Die Residenzstadt ist erfüllt von Begeisterung und Freudentaumel – für Kriegserklärung und Mobilmachung; denn der erste der verheerenden Weltkriege des Jahrhunderts nimmt seinen Lauf.

 

Unter diesem zweifelhaften  Stern beginnt das Priesterleben Ludwigs, der seine erste Stelle in der Leipziger Liebfrauengemeinde im Stadtteil Lindenau antritt, einer typischen Arbeitergemeinde.  In den allgemeinen Kriegstaumel hinein, der auch Katholiken erreicht hat, setzt er sofort ein Zeichen. In seiner ersten Predigt lenkt er entgegen dem Zeitgeist die Gedanken der Zuhörer von der Kriegsbegeisterung auf die  Eigenschaft eines jeden Krieges, den „Verlust der Unbeschadetheit der Seele“. Für Pfarrer Kirsch ist das Wort „Seelsorger“ kein Begriff, sondern lebenslanges Programm. Und so endet diese erste Predigt - der Krieg war noch kein Flächenbrand - mit warnenden Worten : „Wenn  die Herzen unserer Krieger draußen nach und nach so stahlhart werden, wie die eisernen Waffen in ihren Händen, so sei es unsere Sorge daheim, ein weiches, mitfühlendes Herz zu bewahren und der leidenden Menschheit nicht zu vergessen, damit auch Gott unser nicht vergisst.“

 

Dieser verlorene Weltkrieg und die daraus resultierenden sozialen und seelischen Nöte der Gemeindemitglieder prägen Ludwig Kirsch und wecken sein Interesse an der Politik.

 

Offensive in der Diaspora

 

1919 wird Kirsch zum Expositus (lat.:„Hinausgeschickter“) in den Erzgebirgsort Bärenstein bei Annaberg berufen.  Eine Einführung in der trostlosen Diaspora findet nicht statt. Er selbst geht von Haus zu Haus über die umliegenden Dörfer und stellt sich vor. Statt mit der Situation zu hadern, geht er in die Offensive. Ergebnis ist der Bau der Bonifatiuskirche an der heutigen Bundesstraße 95. In den nur fünf Jahren seines Wirkens sammelt er die verstreuten Katholiken um ein neu erbautes Gotteshaus zu einer aktiven und selbstbewussten  Gemeinde. Er wird  Mitglied der katholischen Zentrumspartei. Als Landesvorsitzender  schreibt er Kolumnen - auch für das „Benno-Blatt“ -  und hält begeisternde Reden, ohne seinen priesterlichen Dienst zu vernachlässigen. Er wird ein Leben lang kaum mehr  als  fünf Stunden täglichen Nachtschlaf  haben.

 

1924 beruft ihn der Bischof zum Pfarrer der Gemeinde St. Maria Himmelfahrt in Reichenbach/Vogtland. Dort werden unter seiner Regie und seinem mitreißenden Enthusiasmus der Umbau und die Neugestaltung der Kirche bewerkstelligt. Seine politische Tätigkeit nimmt während der Weltwirtschaftskrise mit ihren verhängnisvollen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu. In der Zeit des ersten Demokratieversuchs, der Weimarer Republik, prägt er den Satz: „Es genügt nicht, demokratisch zu wählen. Unsere Aufgabe ist es, die Bürger zu Demokraten zu erziehen.“

 

Damit spricht er zugleich den Schwachpunkt jener Jahre an, die Unfähigkeit der Politik, Demokratie lebendig und erfahrbar zu gestalten. Die Zersplitterung in unzählige kleine und kleinste Parteien führte zu einem guten Dutzend Regierungen in dieser Zeit. Eine Lehre daraus ist die Einführung der bis heute geltenden 5 %-Klausel. Die Aufforderung: „Macht Euch die Erde untertan“ bedeutet für Kirsch, auf der Basis christlicher Überzeugung durch Wort und Tat mit zu gestalten und nicht anderen das Feld zu überlassen, welche ohne oder gar gegen christliche Überzeugung prägend in der Verantwortung stehen oder sich selbst dahin gestellt haben. Als begnadeter Redner mit der Gabe, komplizierte Sachverhalte und christliche Anliegen auf den Punkt zu bringen, wird er schnell zu einem begehrten Gastprediger im neu errichteten Bistum, als Redner in politischen Versammlungen und als Kolumnist verschiedener Zeitungen,  damit aber auch zum politischen Gegner zahlreicher Parteien, insbesondere der NSDAP.

 

Ludwig Kirsch nutzt seine Gaben im Dienst an der Kirche und dem Land unter der Prämisse des tiefen katholischen Glaubens, Nächstenliebe und seines christlichen Sozialverständnisses.  Die Maske der Nazis fällt nach kurzer Zeit, und ein Schreckensregime ist installiert, in dem Millionen Menschen aus pseudorassistischem Wahn in den fabrikmäßig betriebenen Mord in Vernichtungslagern, durch  Massenerschießungen, an den Fronten und  Terror im Lande selbst ihr Leben lassen müssen. Erinnert sei auch an Zehntausende Suizide, an ca. 300000 Zwangssterilisierungen und die Tötung behinderter Mitbürger. Die Fallbeile des „Volksgerichtshofes“ kennen keine Ruhepause, die Konzentrationslager sind übervoll. Der Krieg geht verloren und mit ihm versinkt das Land in einem Trümmermeer. Zurück bleiben eine Wüstenei, Millionen Todesopfer und Kriegsgefallene, unfassbares Leid, Vertreibung aus der Heimat, Verlust von Hab und Gut, ein traumatisiertes Europa und  die radikale Änderungen europäischer Grenzen.  Die Aufzählung ist unvollständig.

 

Der Zeitraum von zwölf Jahren zeigt, welche Energie und welchen unumkehrbaren Selbstlauf  extremistischer Wahn entfachten kann. Ludwig Kirsch schreibt (in einer Kolumne am 13.Oktober 1948): „Wir Deutschen haben nicht nur den faustischen Drang zum Grübeln, wie ihn neben der Goetheschen Dichtung klassisch Lessing auch in seinem ‚Laokoon’ anklingen lässt, sondern auch die fast krankhafte Sucht, jede philosophische Idee, jedes politische System, jedes Experiment bis zum Äußersten zu treiben. Es fehlt uns mehr als anderen Völkern jener gesunde Instinkt, rechtzeitig zu erkennen, wo Vernunft zum Unsinn wird und Wohltat Plage, wo gesunde Konsequenz in unsinnige Sturheit, echte Charakterfestigkeit in enge Dickköpfigkeit ausartet.“ Damit spricht er zwar die kommunistischen Ideen einer Weltordnung an, beschreibt aber zugleich den typisch deutschen Charakterzug, eher alles auf die Spitze zu treiben, als Fehler und Irrwege zu erkennen. Drei Jahre zuvor hat man  gerade erlebt, wohin es führt.

 

Doch zurück in die Zeit zwischen 1933 und 1945. Als Diözesanerwachsenenseelsorger entwickelt Ludwig Kirsch neue Seelsorgekonzepte und versucht, diese auch in der Reichenbacher Gemeinde umzusetzen.  Er möchte eine geistig frische und die Menschen ansprechende Glaubensvermittlung, ohne dem Zeitgeist zu huldigen.  In der NS-Diktatur werden die Konturen seiner Predigten schärfer. Der Abschluss des Konkordats 1933 ist ein Punkt, an dem er es deutlich macht.  Am 9. September 1934, als schon etliche Vertragsverletzungen zu konstatieren waren, spricht Kirsch in einer Predigt zu einem großen Fest des  Kolpingvereins unter dem Thema „Die Treue des Kolpingsohnes“ in Dresden-Johannstadt Klartext. „Diese Kirche kennt nirgends und nie bequeme Zeiten, sie kann darum auch keine bequemen, trägen Menschen brauchen, kein Konkordat, kein Massenaufmarsch mit schmetternder Musik nimmt ihr diese Aufgabe (der Glaubensvermittlung) ab. Wappnet Euch mit der Kraft des Gebetes und der hl. Sakramente, mit klarem Wissen um Euren hl. Glauben.“

 

Aufrechter in zwei Diktaturen

 

Derartig klare Ansagen machen Ludwig Kirsch zum Vorbild für die Menschen, die innerlich um die Kostbarkeit des Glaubens wissen und aus Gründen der Lebensgestaltung  in einer Diktatur nach einem persönlichen Weg zwischen den Fronten ringen.  Einerseits ist der Glaube die seelische Grundlage und innere Ausrichtung des Lebens, andererseits kann man durch Anpassung und aktives Mittun in NSDAP und Staat im Leben vorwärts kommen und es zu etwas bringen.  Die Mitgliedschaft – keineswegs nur die Loyalität - in der Partei der Ein-Parteien-Diktatur ist Grundlage für die gesellschaftliche Stellung und den persönlichen, auch wirtschaftlichen Erfolg, greift direkt in das Privatleben ein.

 

Das gilt übrigens auch für die Jahre 1945-1989 in der kommunistischen Diktatur. Mögen die vermeintlichen Beglückungsideen der jeweiligen Machthaber völlig unterschiedlich gewesen sein und völlig verschiedenen Anschauungen und Ansprüchen entspringen, die man nicht auf eine Stufe stellen kann und darf, so bleibt ein Fakt bestehen: Diktaturen basieren immer auf die beschriebene Art, da es ihr Wesen ist. Der Mensch wird nicht als Individuum begriffen, sondern als Menschenmaterial.

 

1935 wird Ludwig Kirsch Pfarrer der Chemnitzer Gemeinde St. Joseph und wird wenige Monate im KZ inhaftiert. Auslöser dafür ist ein Brief Kirschs an ein Reichenbacher Gemeindemitglied, dem die Zwangssterilisation droht, in Wahrheit aber will man ihn beseitigen. Zahlreiche Proteste und kluges Vorgehen eines mutigen Anwalts bringen ihn wieder in Freiheit. Nun steht er offiziell unter ständiger Überwachung der Gestapo. Ihre Schergen sitzen in der Kirche isoliert, da die Gläubigen die Bank verlassen. Pfarrer Kirsch fragt regelmäßig nach, ob auch richtig mitgeschrieben wird…

 

Mit viel Glück überlebt er diese erste Diktatur. In seiner politischen Biographie betont er ausdrücklich, dass die ihm anvertrauten Gemeindeglieder, insbesondere die Jugend, keine Nazis geworden sind, was allein schon eine echte Lebensleistung darstellt, wenn man die zwangshaften Zeitumstände auch nur ansatzweise kennt. 

 

Mit Kriegsende sammelt er überall treue Mitstreiter auch aus der Gemeinde um sich und gründet mit ihnen im Juni 1945 die CVP (Christliche Volkspartei), welche wenig später in der CDU aufgehen wird. Auf Betreiben von Ludwig Kirsch wird das Kreuz Parteisymbol. Von Anfang an hat diese Partei - im Gegensatz zur früheren Zentrumspartei - eine ökumenische Ausrichtung. Die Gründungen in Sachsen waren: CVP in Chemnitz (20.6.) und von dort aus in Dresden, CDP (Christdemokratische Partei) im Sommer des Jahres in Leipzig. Die CDU wurde am 26. Juni in Berlin begründet. Auf Grund fehlender Verbindungen unmittelbar nach dem Krieg wusste man dort nicht, was in Sachsen geschehen war. Damit waren- nach Aktenlage - die Chemnitzer tatsächlich die ersten, welche eine christliche demokratische Partei begründeten. In den Westzonen durfte das erst im August des Jahres geschehen.

 

Die Gemeindearbeit fordert alle Kräfte. Hunderte verlassen in den Kriegswirren und infolge Obdachlosigkeit durch Bombenangriffe die Gemeinde, da sie bei Verwandten anderswo Unterschlupf finden. Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Staatsgebieten treffen in Chemnitz ein und suchen neue Heimat. 1945 wird Kirsch Kreisvorsitzender der CDU und 1946 Stadtverordneter. Im gleichen Jahr wählt man ihn in den Hauptvorstand der CDU in der sowjetischen Besatzungszone.1948 wird er stellvertretender Landesvorsitzender und in den deutschen Volksrat gewählt. 

 

Das Kesseltreiben der SED gegen den Hauptgegner CDU hat längst begonnen. Unter dem Druck von SED und SMAS (sowjetische Militäradministration im Land Sachsen als Teil der SMAD: Besatzungsmacht der Ostzone, aus deren Einflussbereich 1949 die DDR konstruiert wurde) sind Aufweichungen und Spaltungstendenzen zu verzeichnen. Ludwig Kirsch hat es in Chemnitz vornehmlich mit dem SED-Volkskorrespondenten Horst Sindermann zu tun, der sich seine politischen Meriten verdienen will. Der Pfarrer hat gute Kontakte zur sowjetischen Militäradministration. Selbst innerhalb der Kirche gilt er manchem als „Russenfreund“, der er gar nicht ist. Da er die Menschen allgemein durch seine Art gewinnen kann, klappt das auch bei den Besatzern, und weil er im KZ eingesessen hat, nötigt er Respekt ab und gewinnt Vertrauen.

 

In der CDU gehört Pfarrer Kirsch  einer Richtung an, die auf Grundlage der christlichen Soziallehre einen  „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ anstrebt  und vor allem die Einheit Deutschlands bewahren will.  Er ist keineswegs ein  „roter Pfarrer“, sondern lehnt den Kommunismus als Lehre und Staatsform  scharf und radikal ab. Liberalismus, „Sakristeichristentum“ und Materialismus sind ihm ein Grauen, ungezügelter Kapitalismus eine Geißel der Menschheit.

 

Sein Wirken und Engagement bleibt nicht auf die „katholische Klientel“ beschränkt, da er sich als Seelsorger  aller Menschen im Gemeindeumfeld versteht. Deshalb bringt er sich in die Politik ein, wird aus diesem Anspruch heraus politisch aktiv und hat in der CDU seine Prägung hinterlassen. Fast vergessen ist heute, dass die CDU in dem damals in Besatzungszonen aufgeteilten Rest-Deutschland ihre Wurzeln in Sachsen hat. In dieser Zeit der politischen Neugestaltung in der Ostzone kommt es zu scharfen Auseinandersetzungen mit der SED und zu persönlichen Verleumdungen und Angriffen gegen Ludwig Kirsch wie auch gegen andere Persönlichkeiten der CDU.

 

Bereits damals hat sich die SED ein Monopol in Bezug auf Zeitungen und Rundfunk geschaffen, die wichtigsten Stellen in Kommunen und Wirtschaft besetzt. Um 1948 nimmt sie die „führende Rolle“ innerhalb der Blockparteien für sich in Anspruch und versucht diese durchzusetzen, wobei sie in Ludwig Kirsch einen der schärfsten Gegner findet. Die Auseinandersetzungen, vor allem in der Presse, sind sehr scharf. Die immense Arbeitsbelastung in Gemeinde und Politik führt bei Pfarrer Kirsch zur Auszehrung und er altert sichtbar. Oft muss er auf Grund körperlicher Schwäche den Gottesdienst unterbrechen, um sich kurz auszuruhen.

 

 

 

Gleichschaltung der CDU als Blockpartei

 

Pfarrer Kirsch stirbt am 22. Januar 1950 infolge einer ungeklärten Bleivergiftung an einer alle Organe befallenden Krebserkrankung. Was aber passiert zwischen Tod und Beerdigung? Die Gemeinde und die politischen Mitstreiter ebenso wie viele andere Chemnitzer Bürger trauern um ihren geliebten und verehrten Pfarrer. Die CDU-Führung  Sachsens trifft sich einen Tag nach seinem Tod in Dresden und trauert ebenfalls um Ludwig Kirsch, ihren großartigen Redner, Ideen- und Profilgeber. Trauer ist aber auch ein Zustand der Schwäche und Ohnmacht. Und genau in dieser Situation schlägt die SED zu.

 

Das enge Führungsduo Pfarrer Kirsch/Professor Hugo Hickmann gibt es nicht mehr. Der enge Freund von Pfarrer Kirsch und Landesvorsitzende der CDU und die  CDU selber werden   Opfer pogromartiger Übergriffe. In den Abendstunden des 23. Januar 1950 führt die SED unter Führung Ulbrichts den entscheidenden Schlag gegen die CDU Sachsens. Mit LKW vorgefahren, stürmen  herangekarrte SED-Genossen die  Landesgeschäftsstelle. Mit Sprechchören „ Hängt sie auf, die Sau“ und anderen markig-prägenden Parolen gleichen Niveaus fordern sie die Absetzung Hickmanns. Nachgewiesenermaßen werden die Stränge von SED-Chef Ulbricht selbst gezogen. Es gibt regen Telefonverkehr zwischen Dresden und Berlin. Der SED-Chef von Dresden, Lohagen, hält Ulbricht auf dem Laufenden, welcher seinerseits direkte Anweisungen aus Berlin gibt.

 

Augenzeugen drängt sich die Erinnerung an die brennenden Synagogen, an die Bücherverbrennungen in der NS-Zeit auf. Ausgesuchte Betriebs - und Bauerndelegationen marschieren vor der Landesgeschäftsstelle der CDU auf und „machen Druck“ auf die dort tagenden Mitglieder des Landesvorstandes. Ulbricht weist an, noch mehr „Delegationen“ zu schicken, um einen Rücktritt Hickmanns und anderer zu erpressen. Professor Hickmann wird unter Zwang abgesetzt und Georg Dertinger, welcher unter Druck den Führungsanspruch der SED anerkennt, neuer Vorsitzender. Aber auch Dertinger wird wenig später Opfer der SED-Diktatur. Mit diesem Tag ist die CDU eine „Blockflöten-Partei“, die erst 1989 ihre Selbständigkeit wiedergewinnt.

 

Die jeweiligen Bischöfe, große Teile des Klerus und die Gemeinde standen hinter dem Wirken von Pfarrer Kirsch, was die Ernennungen zum Leiter des Presseapostolates des Bistums Meißen, zum Diözesanerwachsenenseelsorger und Bischöflichen Rat erkennen lassen. Damit wird auch versucht, dem populären bedrängten Priester einen  Schutzraum vor Verfolgung zu ermöglichen. Bischof Petrus Legge bot ihm die Stelle als Propst in Leipzig an. Da Ludwig Kirsch sich auch noch um seine betagte Mutter kümmerte und ihr einen weiteren Umzug nicht zumuten wollte, lehnte er ab.

 

Mit seinem Tod verliert das Bistum einen treuen und engagierten Priester, das Land Sachsen einen hervorragenden katholischen Politiker und die Ostzone einen entschiedenen Streiter für die deutsche Einheit, der sich voll und ganz seiner Kirche und dem Dienst an allen  Menschen verschrieben hat. Tausende folgten seinem Sarg, die Glocken der Stadt begleiteten den letzten Weg mit Trauergeläut. Seit 1950 trägt die an der Chemnitzer St. Joseph-Kirche vorbeiführende Straße seinen Namen.

 

                                                                                       

Kontakt:

Projekt „Aufarbeitung Zeitgeschichte“, Katholische Pfarrei „St. Joseph“ 09130 Chemnitz, Gießerstraße 36 ,  Herr Stephan Gottwald, E- Mail: pfarrerludwigkirsch@web.de